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Bauer bei der Ernte

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Bauer bei der Ernte. Ägypten um 1200 vor unserer Zeit. Acht von zehn Bewohnern sind Landwirte.
Illustration: Skip G. Langkafel © Dr. Rainer Bieling


Die antiken Gesellschaften verdanken ihren Reichtum den Überschüssen aus der Landwirtschaft. Mit wirksamen Anbaumethoden lassen sich auf fruchtbaren Böden mehr Nahrungsmittel erzeugen, als die Bauern zum Existenzerhalt brauchen. Schon damals ist es der Staat, der die Überschüsse im großen Stil umverteilt – das meiste zu sich selbst.

Sklavin in Ägypten

Sklavin in Ägypten um 1200 vor unserer Zeit. Sklaverei wird erst in der Neuzeit gesetzlich verboten, zuletzt 1962 in Saudi-Arabien. Mehr erfahren Sie hier . Illustration: Skip G. Langkafel © Dr. Rainer Bieling

Analyse: Wie die mediterrane Weltwirtschaft funktioniert

Die erste Globalisierung

In den Jahren um 1200 vor unserer Zeit sind die entwickelten Länder am Mittelmeer auf vielfältige Weise vernetzt und voneinander abhängig. Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung zum Selbsterhalt), Marktwirtschaft und Staatswirtschaft koexistieren

DER URSPRUNG DES REICHTUMS

Der Ursprung des Reichtums


Der Reichtum der Nationen am östlichen Mittelmeer vor gut 3000 Jahren stammt aus Ackerbau und Viehzucht. Die Gesellschaften erwirtschaften so große Überschüsse, dass der Staat sie im großen Umfang umverteilen kann.
Die Bevölkerungsstruktur zeigt, warum in die alten Hochkulturen der Ursprung des Reichtums in der Landwirtschaft liegt: 80 % der Bevölkerung arbeiten für die Erzeugung von Lebensmitteln. In modernen Hochkulturen sind es weniger als 5 %.
Es ist keineswegs ein Heer von Sklaven, die den Reichtum für die Herrschenden erarbeiten, sondern es handelt sich um freie Bauern, die in den Anbaugebieten des fruchtbaren Halbmonds ihr Ein- und Auskommen haben, und es wird ihnen nicht wie heutigen Arbeitnehmern die Hälfte ihres Einkommens in Form von Steuern und Sozialabgaben abgenommen, sondern der abgabenpflichtige Bauer gibt nur den Zehnten seiner Erträge ab, muss sich aber um seine Altersvorsorge selber kümmern: Kinder zeugen. Damit kann er gut leben, und der verblüffend schlanke Staat kann mit seinem Zehnten einen Prunk entfalten, dessen Überbleibsel wir heute noch allerorts bestaunen können.

Auch Sklaven sind Menschen und haben Rechte

Die antiken Hochkulturen sind zum Zeitpunkt unserer Bestandsaufnahme schon alt. Im Zweistromland über zweitausend Jahre, im Niltal über anderthalb tausend Jahre. Sie haben im Laufe der Zeit komplexe Gesellschaften ausgebildet, in denen es neben den Freien auch Sklaven gibt, die allerdings anerkannte Mitglieder der antiken Gesellschaften sind, die eingeschränkte Rechte haben und in allen Berufen zu finden sind. Sklaverei ist keineswegs typisch für die Antike, sondern ebenso typisch für die Neuzeit: Saudi-Arabien verbietet Sklaverei erst 1962, genau hundert Jahre nach den Vereinigten Staaten von Amerika. (Hier erfahren Sie mehr, warum die Bezeichnung "Sklavenhaltergesellschaft" für die Kennzeichnung der Antike nicht taugt.)

Hintergrund: Arbeitskräfte der besonderen Art

DIE BEDEUTUNG VON SKLAVEN

Am Aufschwung der Weltwirtschaft in der Epoche um 1200 vor unserer Zeit hat auch Sklavenarbeit einen Anteil. Da Sklaven nicht mehr als Essen, Kleidung und Unterkunft kosten, erzeugen sie auf Staatsgütern Überschüsse aus der Landwirtschaft. Oder sie werden aus solchen Überschüssen ernährt und stehen als Arbeitskräfte für staatliche Bauvorhaben zur Verfügung. Hier kommen sie allerdings meist nur als Hilfskräfte zum Einsatz, weil Palastbau, Grab- und Tempelbau oder Flottenbau Fachkräfte wie Steinmetze, Zimmerleute und Werkzeugmacher erfordert – Spezialisten, die freie Arbeiter sind.

HERKUNFT DER SKLAVEN

Die Herkunft der Sklaven

Sklaven sind entweder menschliche Beute aus Kriegs- und Raubzügen: Beutesklaven. Oder Schuldsklaven aus der eigenen Bevölkerung, in erster Linie überschuldete Bauern, die erst ihr Land und dann sich selbst ihrem Gläubiger überlassen müssen. Sklaven sind unfreie, aber anerkannte Mitglieder der antiken Gesellschaft, die Rechte (minderer Art) haben und in allen Berufen zu finden sind, mitunter sogar höchste Stellungen bekleiden.

SCHNELLER VORLAUF 1847, 1862

In den nächsten dreitausend Jahren bleiben Sklaven ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Auch als die Länder am östlichen Mittelmeer offiziell christlich werden, ändert sich wenig; denn ohne Sklaven läuft in der Landwirtschaft längst nichts mehr. Der Kodex (eine Gesetzessammlung) des Kaisers Theodosius II aus dem Jahr 438 bekräftigt zwar das Christentum als alleinige Staatsreligion des Römischen Reiches. Aber er untersagt nur Juden, die nun dem falschen Glauben anhängen, die Sklavenhaltung. Das ist eine Teilmaßnahme der christlichen Bekämpfung des Judentums, um ihm die Existenzgrundlage zu entziehen: Wer keine Sklaven hat, ist auf dem Lande nicht wettbewerbsfähig. Für städtische Juden gilt parallel ein Berufsverbot im öffentlichen Dienst, sie dürfen nicht mehr Staatsbeamte, Richter oder Berufssoldaten werden.
Als die Araber in den Jahren bis 642 die römischen Provinzen an der Levante und in Ägypten und das Reich der Perser ihrer Herrschaft unterwerfen, ändert sich an der Sklavenhaltung im Laufe der folgenden Jahrhunderte allmählich zweierlei: Die antike Rechtssicherheit für alle Sklaven wird schrittweise zur Rechtlosigkeit für schwarze Sklaven – und Christen dürfen keinen Muslim als Sklaven haben. Wie zuvor bei den Juden entzieht das Verbot nun den Christen die wirtschaftliche Existenzgrundlage. Stellen sie anfangs die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in den neuen arabischen Provinzen am östlichen Mittelmeer, werden sie nach der ersten Jahrtausendwende im Zuge der Islamisierung zur Minderheit.
Im Herrschaftsbereich des Islam bleiben weibliche und männliche Sklaven acht weitere Jahrhunderte für Lust und Last zuständig, bis der türkische Sultan im Jahr 1847 die Sklavenmärkte von Konstantinopel bis Khartum schließt – ersterer berühmt für Haremsnachschub aus dem Kaukasus, letzterer berüchtigt für Arbeitssklaven aus Schwarzafrika. Das Unterbinden des Geschäfts mit den schwarzen Sklaven macht sich bald auf der anderen Seite des Atlantiks bemerkbar; denn bis zu der Zeit haben arabische Muslime das Monopol auf Menschenjagd in Afrika. Sie besorgen den Nachschub für den Nordamerikahandel.
Das letzte christliche Land mit Sklavenhaltung reagiert mit einem Bürgerkrieg: Nur mit Gewalt lässt sich die Proklamation des Präsidenten Abraham Lincoln in den Vereinigten Staaten von Amerika durchsetzen, mit der er 1862 alle Sklaven für frei erklärt.

Gedankenpause 2001

Sklaverei ist weder typisch für die antike Welt noch ist sie untypisch für Christen und Muslime. Nach über dreitausend Jahren führt das Ende der Sklaverei für die beiden bis zuletzt aktiven Seiten, Araber und Amerikaner, zu einem völlig entgegengesetzten Ergebnis:
Die Amerikaner antworten mit einer Industrialisierung der Landwirtschaft. In den fünf Jahrzehnten vom Ende der Sklaverei bis zum Ersten Weltkrieg erlebt die Welt den Aufstieg der Vereinigten Staaten zur stärksten Wirtschaftsmacht. Das zeigt, wie produktiv das Verbot von Sklavenarbeit im Zeitalter von Maschinen und Motoren wirkt. Gleichzeitig wird die Welt Zeuge des Niedergangs der islamischen Herrschaft: Sie geht wirtschaftlich zu Grunde und überlebt den Ersten Weltkrieg auch politisch nicht als Einheit: Zerschlagung des Osmanischen Reiches, Gründung von Einzelstaaten wie Türkei (1923) und Saudi-Arabien (1932).
Seit dem Zweiten Weltkrieg öffnet sich die Schere zwischen dem American Way of Life und dem Leben unter arabisch-islamischer Herrschaft weiter. Das wird so bleiben, solange die Rollenverteilung gleich bleibt: Lieferanten die einen, Abnehmer die anderen. Die Ware hat sich geändert, schwarzes Gold statt schwarzer Sklaven, aber nicht das Kaufmotiv: Wachstum, Wohlstand, technischer Wandel.
Das Internet kommt aus Kalifornien, nicht aus Saudi-Arabien. Von dort und aus anderen islamischen Ländern kommen Menschen, denen das alles nichts bedeutet. 2001 am 11. September verkünden sie ihre Botschaft so deutlich, dass keiner sie überhören oder übersehen kann. Wie viel Islam sie enthält, wird virtual history noch beschäftigen.

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Das Erstaunliche ist vielmehr, dass es in der Antike bereits die Anfänge der Markwirtschaft gibt. Marktplätze sind die Städte, in denen ein Teil der Bewohner nicht mehr von der Landwirtschaft lebt und seine Lebensmittel deshalb erwerben muss – im Tausch gegen Waren des täglichen Bedarfs. Der Masse der Bevölkerung gelingt die Selbstversorgung zum Selbsterhalt ohne weiteres, die Überschüsse aus bäuerlicher Subsistenzwirtschaft sind in guten Jahren beträchtlich. Der Fernhandel macht für die, die es sich leisten können, hochwertige Güter verfügbar: Keramik, Schmuck, Parfüm.

Kleine Anfänge der Marktwirtschaft und eine große Rolle des Staates

Der Staatseinfluss in den antiken Gesellschaften ist verschieden stark. Die alten Großmächte Ägypten und Assyrien haben absolute Herrscher mit großer Machtfülle und imperialen Ansprüchen. Der Staat greift massiv in die Wirtschaft ein, schafft ganze Staatssektoren, der Fernhandel ist Staatshandel.
Das hethitische Königtum und auch die Mykener (Achäer) sind weniger zentralistisch ausgerichtet, der Adel hat größere Einflussmöglichkeiten, auch auf die Wirtschaft: Staat wird eher dezentral erfahren.
Die Kleinheit der Stadtkönigreiche (Troja, Ugarit) verändert die Rolle des Staates nochmals: Vor allem an der Levante, besonders ausgeprägt in Ugarit, tritt der zwar adlige, aber auf private Rechnung tätige Kaufmann im Fernhandel auf. Von hier, von den Phöniziern, kommt die freie Marktwirtschaft.
Der Fernhandel ist zu der Zeit schon spezialisiert. Es gibt den Rohstoffhandel mit Kupfer aus Zypern oder Zedernholz aus dem Libanon, den Warenhandel mit Olivenöl aus der Levante oder Keramik aus Kreta.

Fernhandel fördert die Globalisierung

Grenzüberschreitend ist der Handel mit Luxusgütern wie Weihrauch aus dem Jemen oder Elfenbein aus Nubien, wo damals schon der Menschenhandel blüht. Sicherheit und Stabilität der Fernhandelswege machen das Gelingen der ersten Globalisierung überhaupt erst möglich. Zu Lande mit Eselskarawanen, zu Wasser die Küsten des Mittelmeers entlang, mit Booten auf Nil, Euphrat und Tigris.
Dabei ist die Weltwirtschaft noch sehr anfällig für Krisen, weil sie eine funktionierende Landwirtschaft in allen beteiligten Ländern zur Voraussetzung hat. Kommt es durch Klimawandel zu Dürreperioden, bricht die Ernährungsbasis zusammen und mit ihr schnell das ganze Gebäude von Urbanität und Staatlichkeit. Klimawandel ist ein Problem, seit es Menschen gibt. Davon wird noch die Rede sein.

Geht es gerecht zu, lässt es sich leben

Es zeigt sich, dass die mediterrane Wirtschaft um 1200 vor unserer Zeit gar nicht viel anders als unsere heutige funktioniert – nur eben ohne Motoren und Maschinen, ohne Strom und Internet. Der Alltag der Menschen ist im Rhythmus der Jahreszeiten von Arbeit geprägt, von Festen unterbrochen. Die Leute müssen sich um ihr tägliches Brot kümmern, um ihre Kinder, ihre Eltern und um ein Dach über dem Kopf. Wirtschaften sie erfolgreich, wird der Staat gut geführt und geht es gerecht zu, reicht es für alle zum Leben. Herrscht obendrein Frieden, wird ein vergleichsweise langes Leben daraus. Ramses II bringt es auf 85 Jahre.

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