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Abbildung links: Ägypten ist ein Geschenk des Nils. Und der Nil ist die Datenautobahn des Pharaonenreichs: Vorn im Bild eine Barke mit einem Beamten, der Informationen über die Getreideernte am Ufer sammelt. Er wird sie nilaufwärts zur Abgabenverwaltung nach Memphis weiterleiten. Eine Kabine schützt ihn vor der Sonne. Am Bug der Lotse mit einem Senkblei, am Heck der Steuermann mit einem Doppelruder. Im Hintergrund Gemüsefelder, Dattelpalmen und die Pyramiden von Gise. Die Barsch-Fischer in ihren Schilfbooten werden nicht mehr wissen, dass es sich um Königsgräber aus der Zeit des Cheops handelt, die bereits 1300 Jahre dort stehen. Illustration: Skip G. Langkafel © Dr. Rainer Bieling
ÄGYPTEN UM 1200 VOR UNSERER ZEIT

Die Pharaonen beherrschen in den Jahren um 1200 vor unserer Zeit das ganze Niltal vom Delta bis Nubien. Nubien ist das Tor nach Schwarzafrika: Gold, Sklaven, Elfenbein. Die gesamte Mittelmeerküste nördlich der Halbinsel Sinai bis zum Orontes ist ägyptische Provinz: Unter Aufsicht des Pharao regiert ein Dutzend Vasallenkönige kleinräumige Stadtstaaten wie Gaza, Byblos und Jerusalem. Im Norden bei Kadesch beginnt das Land Hatti. Das Königreich Ugarit gehört bereits zum Einflussbereich der Hethiter und leistet der jungen Großmacht aus dem Norden Tribut. Illustration: Skip G. Langkafel © Dr. Rainer Bieling
In den Jahrzehnten seit 1259 vor unserer Zeit erlebt Ägypten einen beispiellosen Aufschwung: Der Frieden mit der zweiten Großmacht, dem Königreich Hatti, sorgt für sicheren Handel, Wachstum und Wohlstand. Pharao Ramses II herrscht 66 Jahre ohne Anfechtung
Das alte Ägypten hat zum Zeitpunkt unserer Momentaufnahme bereits zweitausend Jahre Hochkultur hinter sich. Die Anfänge liegen so weit zurück, dass die Bevölkerung nicht mehr weiß, wer die Pyramiden einst gebaut hat und wozu sie da sind. Die
Menschen ahnen, dass sie zu etwas gehören, das schon immer da war, seit Anbeginn der Zeit.
Das Bewusstsein, Bestandteil einer ewigen Ordnung zu sein, prägt das Leben und den geistigen Horizont der ägyptischen Gesellschaft. Es ist der Nil, der dieses Weltbild hervorruft und für den Einzelnen nachvollziehbar macht. Jahr für Jahr Mitte Juli tritt der Fluss über die Ufer und überschwemmt das Land. Nach vier Monaten zieht er sich regelmäßig zurück und hinterlässt die Fruchtbarkeit. Zeit für die Saat, und weitere vier Monate später, Mitte März, beginnt schon die Erntezeit für Getreide. Ägypten ist ein Geschenk des Nils, wird 750 Jahre später der griechische Weltenbummler und Geschichtsschreiber Herodot notieren. Und der Nil ist ein Geschenk Gottes, so verstehen es die Pharaonen, die Gottessöhne auf Erden. Ihre Aufgabe ist es, diese gute Gabe zu hüten, die göttliche Ordnung zu wahren und Gerechtigkeit walten zu lassen.
Selten ist der Zusammenhang von Umständen, in die sich Menschen gestellt sehen, und dem Bild, das sie sich von diesen Umständen machen, so naheliegend. Der Nil dient nicht nur dem Austausch von Waren und Dienstleistungen, von Ideen und Daten, er gliedert auch den Lauf der Zeit und garantiert deren beständige Wiederholung in Form von drei Jahreszeiten: Überflutung, Aussaat, Ernte.
Bleibt das Hochwasser einmal aus, verdorren die blühenden Landschaften am Nil. Bleibt es öfter aus, kommt es zur Katastrophe. So geschehen gegen 2216 vor unserer Zeit, als das Alte Reich der Pharaonen am Hunger zerbricht. Klimawandel bedroht bis heute die Lebensgrundlagen in Afrika, nachvollziehbar, dass die Ägypter der Gegenwart sich davor schützen wollen (siehe Kasten »Schneller Vorlauf« unten). Das antike Ägypten hat aber noch eine offene Flanke: den Norden. Von hier kommen die Fremden, um sich ihren Anteil am Reichtum des Niltals zu holen. Als die Stadtkönige Kanaans eine neue Waffe in die Hand bekommen, das Pferd, fallen sie mit ihren Streitwagen über die Pharaonen her und entreißen ihnen die Macht. Das Mittlere Reich zerbricht um 1650 vor unserer Zeit an den Hyksos, den Fremdlandherrschern über Delta und Unterlauf des Nils.
Das ist die zweite traumatische Erfahrung der Ägypter: von draußen kommt nichts Gutes. Es sind die Vorgänger Ramses' II, die die Fremden hundert Jahre später wieder vertreiben und die Grenzen ihres Neuen Reichs bis hoch in den Norden der Levante verschieben. Klar, dass sich Ramses II (*1298, Pharao 1279-1213) herausgefordert fühlt, als ein Konkurrent nach Kanaan greift: 1274, in der Schlacht von Kadesch, kommt es zum Crash, aber so einfach sind die Hethiter, die selber Großmacht sein wollen, nicht kleinzukriegen.
Als beiden Seiten klar ist, dass dieser Krieg keinen Sieger kennen wird, entscheiden sie sich zu einer Kehrtwende: 1259 vor unserer Zeit machen sie ihren
Frieden und bescheren dem östlichen Mittelmeerraum für fast sechs Jahrzehnte beeindruckendes Wachstum, breiten Wohlstand und ein bleibendes Weltkulturerbe: Ramses' Ruhmestempel von Abu Simbel.
SCHNELLER VORLAUF
1964, 1971
Die jährlichen Hochwasser des Nils überschwemmen die Ufer, der Nilschlamm bringt die Fruchtbarkeit. Das geht Jahrtausende so – bis unter Präsident Nasser bei Assuan ein gewaltiger Staudamm entsteht.
Spektakulär: Im Jahre 1964 zerlegt die deutsche Baufirma Hochtief die monumentalen Ramses-Statuen bei Abu Simbel und setzt das Unesco-Weltkulturerbe oberhalb des Stausees wieder zusammen.
Prekär: Der Damm, von sowjetischen Ingenieuren errichtet und 1971 eingeweiht, staut den Nil auf 400 km Länge – und mit ihm den Schlamm. Seit 35 Jahren sichert Kunstdünger die Fruchtbarkeit der Nilufer. In etwa 500 Jahren wird der Stausee völlig verlandet sein.